Aus dem Archiv: Oktober 2018
Am kommenden Wochenende wird es am Hambacher Wald klassisch. Wo nach drei Wochen brutaler Räumung und absurder Zerstörung keine Baumhäuser mehr existieren, soll Musik die dramatischen Bilder untermalen und zugleich Ausdruck der noch immer nicht aufgegebenen Hoffnung auf eine Wendung der Ereignisse sein. Das Protestorchester Lebenslaute plant eine überregionale Aktion – wann und wo genau, wird noch bekanntgegeben.
2014 erhielten die Lebenslaute den Aachener Friedenspreis für ihren künstlerisch anspruchsvollen Protest. In edler Konzertkleidung, mit Gesang und Instrumenten protestiert das Ensemble gegen Militarismus, Rüstungsindustrie, den Verfassungsschutz und eben auch den Braunkohleabbau. Bereits 2012 und 2015 demonstrierte die Gruppe im Rheinischen Braunkohlerevier ihre klare Haltung mit wohlklingender Klassik. Zur von mehreren NGOs initiierten Großdemonstration am 6. Oktober und dem Waldspaziergang am 7. Oktober kündigen sie nun erneut an, im Umfeld des Hambacher Waldes einen ihrer zivil ungehorsamen Auftritte zu absolvieren.
Der Aachener Friedenspreis e.V. sieht durch die Entwicklungen im Hambacher Wald sein Kernthema berührt. „Der Konzern RWE bricht hier laufend alle Regeln des friedlichen Zusammenlebens“, konstatiert Lea Heuser, Pressesprecherin des Vereins. „Neben den an Menschenrechtsverletzungen grenzenden Umsiedlungen und Enteignungen, der lokal hochproblematischen Luftverschmutzung durch Feinstaub und Quecksilber und der Zerstörung 12.000 Jahre alter Natur vergiftet RWE mit seinen immensen CO2-Emissionen das Weltklima“, so Heuser. Das angebliche Allgemeinwohl, für das die Braunkohle weiter zur Stromgewinnung verheizt werden müsse, sieht sie durch diesen Umstand unmittelbar konterkariert.
Auch die bei Räumungen und Durchsuchungen angewandte Polizeigewalt, oftmals gegen vollständig friedliche Sitzblockaden oder gar die Presse, kritisiert der Verein scharf. „Wir sind davon überzeugt, dass der allergrößte Teil der Waldschützer*innen Gewalt als Mittel des Protests ablehnt“, so Heuser. Bei der vielfach in den Medien kolportierten verallgemeinernden Diffamierung der Aktiven als Ökoterroristen sei die Absicht viel zu offensichtlich: „Hier sollen Menschen kriminalisiert und Repressionen gerechtfertigt werden“. NRW-Innenminister Reul zeigte medienwirksam eine Sammlung von angeblich im Wald beschlagnahmten Waffen, die jedoch keineswegs aktuelle Funde sondern schon Jahre alt waren. „Von unfriedlichem Protest distanziert sich ein Verein wie der Aachener Friedenspreis e.V. selbstverständlich in aller Deutlichkeit. Wir halten das aber für Einzelfälle, die dem Pluralismus der Aktiven geschuldet sind und den Protest als Ganzes keineswegs entwerten“, sagt die Pressesprecherin.
Heuser stellt das hanebüchene Verhalten der Landesregierung in eine Reihe mit dem als Begründung für die Räumung angeführten angeblichen Brandschutz, #eimergate und #gartenlaubengate. Bei letzteren beiden Hashtags handelte es sich um Symbole irritierenden Polizeihandelns. Als #gartenlaubengate wurde die mit riesigem Polizeiaufgebot an einer Raststätte beschlagnahmte Gartenlaube bekannt, die auf dem Klimacamp Ende August als Solidaritätsbaumhaus für den Hambacher Wald gebastelt und von Kindern bunt bemalt worden war. #eimergate steht für einen im Wald gefundenen Bauschutteimer, der von der Polizei wider besseres Wissen als von oben herabstürzende, als Falle konzipierte Lebensgefahr interpretiert wurde. In Wahrheit handelte es sich um ein zum Klettern notwendiges Gegengewicht, das den Boden nie verlassen hat.
Der Aachener Friedenspreis e.V. ruft dazu auf, sich am 6. Oktober an der Großdemonstration von BUND, Campact, Greenpeace, Naturfreunde Deutschland und den Buirern für Buir oder am 7. Oktober am Waldspaziergang mit Michael Zobel zu beteiligen. „Klima- und Friedenspolitik sind längst nicht mehr voneinander zu trennen“, sagt Heuser. „Wer sich für Frieden stark macht, muss gegen Klimazerstörung kämpfen, denn der Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen des Friedens in immer mehr Regionen der Erde“.
03. Oktober 2018
Themen: Presse
Mit Sorge und Entsetzen verfolgt der Aachener Friedenspreis e.V. die aktuellen Entwicklungen um die Preisträgerinitiative aus dem Jahr 2007. Damals erhielt die Friedensgemeinde San José de Apartadó den Aachener Friedenspreis für ihren gewaltfreien Widerstand gegen die in Kolumbien wütenden Konflikte zwischen Paramilitärs. Friedensdörfer der Gemeinde stellen sich seit dem Jahr 1997 den Militärs und Paramilitärs durch radikale Friedlichkeit entgegen. Sie versorgen sich selbst, sind unabhängig und lassen sich nicht provozieren. Von ihnen geht keinerlei Aggression aus und sie beantworten keinen Angriff mit Gegengewalt.
Laut einem Bericht vom 20.09.2018 beobachten die Mitglieder der Friedensgemeinde zur Zeit wieder eine zunehmende paraMilitärpräsenz und eine Überwachung ihrer Aktivitäten durch uniformierte und bewaffnete Kämpfer. Von nationalen und internationalen Vertreter*innen begleitete Untersuchungskomitees der Gemeinde wurden teils mit Gewalt an ihrer Arbeit gehindert. Nachdem bereits in der Vergangenheit zahlreiche Mitglieder der Gemeinde wegen ihres ungewöhnlichen Protests diffamiert, verfolgt und ermordet wurden, sieht die Gemeinschaft nun erneut eine schwere Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte.
Im Bericht der Untersuchungskomitees heißt es: „Wie bereits bei unseren vorherigen Wanderungen wurde die große Anwesenheit paramilitärischer Strukturen festgestellt, die den größten Teil der Bezirke kontrollieren. In der Gegend von Córdoba sind diese Paramilitärs dabei, ein illegales Projekt für elektrische Energie voranzutreiben, welches im Bezirk La Union-Carepa des Distrikts Piedras Blancas beginnt und obligatorische Desinformationsstellen in Häusern der Zivilbevölkerung hat. Ausserdem werden Reparaturen der Strassen zwischen den Bezirken vorangetrieben und dort kontrollieren die Paramilitärs alles, angefangen vom Holztransport bis hin zur Polizei und öffentlichen Sicherheitskräften. Laut Aussage der Paramilitärs kommt die Armee nie in diese Gegend und wenn sie es doch einmal tut, dann ist vorher alles so arrangiert, dass sie nichts unternimmt.“
Die Friedensaktivist*innen berichten außerdem von zahlreichen Übergriffen. So marschierte am Dienstag, 11. September 2018 nach 19 Uhr eine Gruppe von ca. 70 Personen, laut diverser Hinweise durch die Paramilitärs koordiniert, illegal auf dem Gutshof La Roncona in der zentralen Siedlung der Gemeinde ein. Die Eindringlinge hinterließen ein Bild der Verwüsttung: Kakao, Bananen und Yucca-Anbauten wurden zerstört. Stengel und Sprossen wurden herausgerissen oder abgeschnitten und gekocht. Erst kürzlich war dort ein neuer Anbau organischer Kakaopflanzen angelegt worden. Durch die Invasion wurde alles dem Erdboden gleichgemacht. Am gleichen Tag drangen Paramilitärs in eine Siedlung der Gemeinde im Bezirk La Esperanza ein.
Erst am 13. September endete der Angriff auf La Roncona. Auf Druck nationaler und internationaler Solidaritätsgruppen wies die Polizei die Eindringlinge darauf hin, dass sie Grundrechte verletzten und sie zogen sich zurück. Zugleich kam jedoch eine Gruppe von Paramilitärs in das Friedensdorf Luis Eduardo Guerra im Bezirk Mulatos Medio, das ebenfalls zur Friedensgemeinde gehört. German Graciano Posso, Träger des Nationalpreises der Menschenrechtsverteidiger und offizieller Vertreter der Friedensgemeinde, wurde am Dienstag, dem 18.09.2018 zum wiederholten Mal telefonisch durch den Paramilitär John Edison Goez, alias „Pollo“ bedroht. Die Gemeinschaft erhielt in den vergangenen Tagen Informationen über erneute Pläne, das Gut La Rocona zu besetzen. Zu diesem Zweck wurden die umliegenden Bezirke La Victoria, San José, Mulatos, La Unión und andere aufgefordert, diese geplante Invasion mit jeweils mindestens 10 Personen zu unterstützen.
Siedlungen der Gemeindemitglieder befinden sich sowohl im ländlichen Bereich von San José de Apartadó als auch in der Gemeinde von Tierralta im Department Córdoba. Seit Gründung der Friedensgemeinde im März 1997 wurden verschiedene Gemeinschaftsgrundstücke gekauft, damit sich die Gemeinde autonom mit selbst angebauten Nahrungsmitteln versorgen konnte. Das Zentrum der Gemeinde besteht heute aus zwei Gutshöfen, die die Versorgung sicherstellen. Die wirtschaftlichen Blokaden der Paramilitärs im Laufe der letzten 21 Jahre ließen der Gemeinde keine anderen Überlebenschancen als die Versorgungsautonomie. Die Versuche, die Höfe zu zerstören und den Menschen ihre Lebensgrundlage zu entziehen, sind klare Angriffe auf die Gemeinde.
Die Friedensgemeinde musste über 21 Jahre mitten in dem bewaffneten Konflikt überleben. Auf dem Weg, ihr Recht auf ein Leben in Frieden zu verteidigen, hat sie viele Menschen verloren. Mitglieder wurden ständig vom Staat verfolgt und von den Paramilitärs bedroht. Die paramilitärischen Gruppen expandieren derzeit immer weiter, indem sie Hunderte von jungen Bauern auf ihre Seite ziehen. Seit 2016, als das Friedensabkommen zwischen der Regierung und der FARC-EP unterzeichnet wurde, festigt sich die kriegerische Strategie dieser Gruppen.
2018 ging der Aachener Friedenspreis nach langer Zeit wieder an eine kolumbianische Organisation bzw. ihre Vertreter*innen. Siobhan McGee und Jaime Bernal leisten mit ihrer zivilgesellschaftlichen Bildungs- und Versöhnungsarbeit einen wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden Kolumbiens. Concern Universal Colombia arbeitet in der Stadtt Ibagué und in der gesamten Provinz Tolima. Sie initiierten Kinderbetreuung, Seniorenbildung, Kleinstbetriebe, politische Bildung zu den Themen Menschenrechte, Frauenrechte und Kinderrechte sowie Bildungs- und Beratungsangebote für junge Männer, die zum Militärdienst eingezogen werden sollten. Seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages mit der FARC hat ihre Arbeit an Bedeutung gewonnen. In der Postkonfliktphase, die das Land zur Zeit durchmacht, betreibt auch die neue Regierung die Umsetzung des Friedensvertrags nur sehr halbherzig. Der Staat ist in vielen Regionen Kolumbiens nicht anwesend, um Menschen zu beschützen. Allein im Jahr 2017 wurden weit über 100 Menschenrechtsaktivist*innen getötet.
Die überwunden geglaubten Konflikte flammen mehr und mehr wieder auf. Mit der Bitte um Unterstützung und Einwirkung auf die kolumbianische Regierung wendet sich der Aachener Friedenspreis e.V. daher nun auch an Bundesaußenminister Heiko Maas. „Wenn hier nicht bald ein ernstzunehmender Friedensprozess beginnt, sind zahllose weitere Menschenleben in Gefahr“, kommentiert Lea Heuser, Pressesprecherin des Aachener Friedenspreis e.V. „Wir sichern unseren Preisträgerinnen und Preisträgern in Kolumbien alle Unterstützung zu, die wir geben können. Friedliches Engagement ist gerade in einer Atmosphäre von Repression und Zerstörung das einzige Erfolgsprinzip und zugleich die größte Motivation“.
02. Oktober 2018
Themen: Presse