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Bürgerinitiative Offene Heide

Bürgerinitiative Offene Heide

Der Krieg beginnt hier! Hier, das ist die Colbitz-Letzlinger Heide, nördlich von Magdeburg, mit dem 232 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz, dem Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark, den die Bundeswehr selbst als den modernsten Europas bezeichnet. Hier wird Krieg geübt, ausprobiert, vorbereitet – von der Bundeswehr und der NATO.

Zur Vorgeschichte: Nachdem das Gebiet der Colbitz-Letzlinger Heide ab 1935 zunächst von der Wehrmacht, dann ab 1945 von der Sowjetunion für militärische Zwecke genutzt wurde, bestand nach der Wende die Hoffnung, dass die Colbitz-Letzlinger Heide als Naturpark genutzt würde, nachdem der Landtag Sachsen-Anhalts 1991 dessen ausschließlich zivile Nutzung beschlossen hatte. 1993 beschloss dann jedoch der Bundestag die Weiterführung des Truppenübungsplatzes und im August 1994 besetzte die Bundeswehr das 23.000 ha große Kerngebiet.

Als Reaktion darauf formierte sich 1993 die Bürgerinitiative OFFENe HEIDe, die seit dem 1. August 1993 jeden ersten Sonntag im Monat zum Friedensweg in die Colbitz-Letzlinger Heide, aufruft, um für eine zivile Nutzung des Naturschutzgebietes, für Frieden und gegen Krieg zu protestieren und symbolisch ein Stück Heide in Besitz zu nehmen. „Frieden schaffen ohne Waffen“, ist ihre Losung.

Seit nunmehr über 20 Jahren rufen sie bei Hitze, Regen, Sturm oder Schnee an jedem ersten Sonntag im Monat seither zum Protestmarsch von in der Regel etwa 4-5 km auf, mit einer abschließenden Kundgebung. Am 7.2.2016 fand so inzwischen der 272. Friedensweg statt. Während in den 1990ern noch Hunderte mit protestieren, sind es jetzt in der Regel 40 oder auch schon einmal über 70 Teilnehmer, die sich der Protestgruppe anschließen. Einhergehen diese Protestmärsche mitunter auch mit Bußgeldbescheiden und Gerichtsverfahren, da sie bewusst auf zivilen Ungehorsam setzen und dabei militärisches Sperrgebiet betreten.

Ihr Ziel ist, dass die Colbitz-Letzlinger Heide nach mehr als sieben Jahrzehnten militärischen Missbrauchs, ein Lernort für die Versöhnung mit der Natur und Frieden zwischen den Völkern wird.

Auf der Homepage (www.offeneheide.de) der BI OFFENe HEIDe, die auch eine sehr umfangreiche Dokumentation ihrer über 20-jährigen Aktivitäten enthält, heißt es: Die verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 und das neue Weißbuch der Bundeswehr rechtfertigen nahezu unbegrenzte militärische Einsätze, um den Zugang zu lebenswichtigen und knapp werdenden Ressourcen der Erde für die modernen Industrienationen zu rauben. Diese Neuorientierung der Bundeswehr dient der Vorbereitung von Angriffskriegen und stellt einen Straftatbestand nach dem Grundgesetz, dem Strafgesetzbuch und dem Völkerrecht dar.

„Ziviler Ungehorsam wird zur Pflicht, wo der Staat den Boden des Rechts verlässt.“ (Gandhi)

„Wir wollen die Bürger dafür sensibilisieren, dass nebenan nicht nur gespielt, sondern der echte Krieg geübt wird“, sagt einer der Aktivisten.

Hauptaktionsform sind die monatlichen Friedenswege und die Ostermärsche. Dabei wird auch ziviler Ungehorsam geleistet.
Darüber hinaus organisieren sie Informationsveranstaltungen, Infotische, Kundgebungen, treten bei Veranstaltungen in der Region auf und beteiligen sich auch an Protesten und friedlichen Blockaden gegen Naziaufmärsche. Ihr Einsatz gegen Krieg und für Frieden ist umfassend: Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Ukraine, Gaza, Syrien, Schule ohne Bundeswehr, Flüchtlinge, Frontex, Rüstungsexporte und anderes waren beispielsweise Themen, die in den vergangenen Jahren immer im Vordergrund standen.

„Verantwortung für unser Land heißt: Nein zu Krieg und Konfrontation. Unsere Verantwortung heißt: Ja zu Frieden, Abrüstung, ziviler Konfliktlösung und humanitärer Hilfe.“

Foto: Bernd Luge, Magdeburg

 

Wo der Krieg beginnt: GÜZ und Schnöggersburg

Im GÜZ erhalten offiziell bisher rund 25.000 NATO-SoldatInnen jährlich den letzten Schliff für Kriegseinsätze. Alle Bundeswehr-SoldatInnen, die in einen Auslandseinsatz geschickt werden, müssen sich unmittelbar vorher einem zweiwöchigen Kampftraining im GÜZ unterziehen.

Das GÜZ wurde für etwa 1 Milliarde Euro gebaut. Es spielt eine entscheidende Rolle bei der Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Angriffsarmee. „Für das deutsche Heer öffnen wir mit diesem Schlüssel eine Tür in eine neue Welt“, sagte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Gert Gudera, anlässlich der symbolischen Schlüsselübergabe des GÜZ 2001.

Dort werden Soldaten auf Auslandseinsätze vorbereitet. Sie trainieren mit hochmoderner Technik in mehreren Dorf- und Stadtkulissen, die afghanischen und kosovarischen Ortschaften nachempfunden sind. Sie dienen als Kulissen, um in Verbänden bis zur Bataillonsstärke u.a. Häuserkampf, Terrorismusbekämpfung, Umgang mit aufgebrachten Menschenmengen, Panzerabwehr usw. zu üben.

Ergänzt wird diese militärische Kulisse durch Schnöggersburg, der künstlichen Großstadt und seit 2012 im Bau befindlichen größten militärischen Übungsstadt Europas. Sie wird 6 km² groß werden und über 500 Häuser haben, mit einer Innen- und Altstadt inklusive Einkaufsmeile, mit Einfamilienhäusern, Hochhäusern und Plattenbauten, Kirchen und Moscheen, Friedhof, Schule, landwirtschaftlichen Betrieben, Kanalisation, einem künstlich angelegten 30m breitem Fluss, einem Stadion und einem Slum-Gebiet sowie einem Industriegebiet und einem Elendsviertel. Hinzu kommen Eisenbahnschienen mit Bahnhof, U-Bahn-Tunnel und -Stationen, Straßenzüge und Plätze, ein Autobahn-Abschnitt und eine Flug- bzw. Landebahn, auf der sogar der A400M landen kann.

Bis zu 1.500 SoldatInnen werden hier gleichzeitig ‘Krieg spielen’. Die Übungsstadt soll 2017 fertig gestellt sein und bereits ab 2015 für Übungen und Simulationen von Kampfeinsätzen in städtischen Gebieten genutzt werden. Für Baukosten wurden ursprünglich rd. 100 Millionen Euro veranschlagt; dieser Betrag hat sich lt. Auskunft des Bundesministeriums der Verteidigung von April 2016 inzwischen bereits auf rd. 139 Millionen Euro erhöht und dürfte Schätzungen zufolge am Ende noch um ein Vielfaches höher liegen.

Nach aktuellen Analysen der NATO werden sich Konflikte zukünftig mehr und mehr in den Metropolen und wachsenden Städten dieser Erde abspielen. Krisen, soziale Unruhen und Aufstände müssen nach militaristischer Logik militärisch bekämpft werden. So entstand Schnöggersburg.
Betrieben werden Schnöggersburg und das GÜZ im Rahmen einer Public-Private-Partnership (PPP). Betreiberin ist die „Rheinmetall Dienstleistungszentrum Altmark GmbH“, die das Gelände samt Technik und Logistik an die Bundeswehr und andere europäische Armeen vermietet.

Die Antwort der Friedensbewegung: „War starts here“-Protestcamp

Seit das Armeeprojekt Schnöggersburg 2012 bekannt geworden und kurz darauf mit dessen Bau begonnen worden war, demonstrieren Antimilitaristen jährlich gegen die Aufrüstung im GÜZ. Dazu wurde seither alljährlich ein einwöchiges internationales »War starts here«-Protestcamp nahe dem Übungsplatz in der Colbitz-Letzlinger Heide organisiert, bei dem die BI OFFENe HEIDe ebenfalls immer mit dabei war. Auf dem Militärgelände »werden NATO-Angriffskriege direkt vorbereitet«, begründen sie die Wahl ihres Protestziels auf ihrer Webseite (www.warstartsherecamp.org). In den vergangenen vier Jahren hatten die Antikriegscamps für gemeinsame Großeinsätze von Polizei, Bundeswehr und Kommunen gesorgt.

Fazit:

Die Colbitz-Letzlinger Heide mit GÜZ und Schnöggersburg ist der Inbegriff für den Wandel der Bundeswehr von einer Verteidigungs- hin zu einer Interventionsarmee. GÜZ und Schnöggersburg sollen auch von der Schnellen Eingreiftruppe bzw. der „Speerspitze“ der NATO genutzt werden.

Die Beharrlichkeit und der Mut der BI OFFENe HEIDe zu immer wiederkehrendem zivilen Ungehorsam in ihrem unermüdlichen langjährigen Protest gegen Krieg, Militarisierung und Rüstung verdienen Respekt und unsere Solidarität! Diese Kriegsvorbereitungen gehen uns alle an. Was die BI jedes Jahr, Monat für Monat, vor Ort – in unmittelbarer Nachbarschaft der Vorstufe zum nächsten Kriegseinsatz – an Protest leistet, leistet sie stellvertretend für uns alle! Die Verleihung des Aachener Friedenspreises ist in diesem Sinne ein wichtiges Signal. Und auch, um diese unmittelbaren Kriegsvorbereitungen einer breiteren Öffentlichkeit überhaupt zur Kenntnis zu bringen.