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Feminist Anti-War Resistance (FAR), russland

9. Mai 2023

Der Feministische Antikriegswiderstand (FAR) konstituierte sich bereits am 25. Februar 2022, dem zweiten Tag des Krieges, mit einem Manifest gegen den russischen Überfall auf die Ukraine. Das Manifest wurde über den in russland populären Messengerdienst Telegram verbreitet. Getragen wird die neue soziale Bewegung vom gemeinsamen Bekenntnis zu Frieden, Empathie, Vielfalt und zu den Menschenrechten. Die Aktivist*innen sehen sich selbst als neue politische Kraft in Opposition zu Krieg, Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus. FAR setzt sich zudem für Toleranz und die Pluralisierung von Lebensstilen und gegen sog. „traditionelle Werte“ und die heterosexuelle Norm ein, die Putins russland mit seinem extrem konservativen Bild von Geschlecht und Familie durch drastische Verbote und Repressionen gegen die LGBTQ+ Community durchsetzt.

Im Manifest heißt es: „Als russische Bürgerinnen und Feministinnen verurteilen wir diesen Krieg. Feminismus als politische Kraft kann nicht auf der Seite eines Angriffskrieges und einer militärischen Besetzung stehen. […] Krieg bedeutet Gewalt, Armut, Zwangsvertreibung, zerstörte Leben, Unsicherheit und das Fehlen von Zukunft. Er ist unvereinbar mit den wesentlichen Werten und Zielen der feministischen Bewegung. Krieg verschärft die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und wirft die Errungenschaften der Menschenrechte um viele Jahre zurück. Krieg bringt nicht nur die Gewalt von Bomben und Kugeln mit sich, sondern auch sexuelle Gewalt: Wie die Geschichte zeigt, steigt während des Krieges das Risiko, vergewaltigt zu werden, für jede Frau um ein Vielfaches. Aus diesen und vielen anderen Gründen müssen russische Feministinnen und alle, die feministische Werte teilen, entschieden gegen diesen von der Führung unseres Landes entfesselten Krieg Stellung beziehen.“

Im März 2022 hatten sich bereits 151 Personen dem Manifest angeschlossen und FAR stand an der Spitze der ersten Antikriegsproteste in mehr als 100 Städten. Mittlerweile zählt die Telegram-Gruppe mehr als 41.000 Abonnent*innen und ist damit in russland die mit Abstand größte Initiative gegen den Krieg. Lange sah die russische Regierung Feminist*innen nicht als Gefahr an. Erst im Dezember 2022 wurde FAR vom russischen Staat in die Liste der so genannten „ausländischen Agenten“ aufgenommen. Seitdem werden Aktivist*innen verhaftet, kriminalisiert und entweder in der Psychiatrie oder im Gefängnis eingesperrt. Um dies zu vermeiden, handelt FAR meist anonym. Bekannt sind nur die Namen weniger, im Ausland lebender Aktiver. Die Bewegung legt Wert auf ihre horizontale Struktur und die hierarchiefreie Zusammenarbeit ohne Führungspersonen.

Zu den kreativen Protestformen der Frauen gehört es z.B., auf Preisschildern in Supermärkten über die Zahl gefallener Soldat*innen und ziviler Opfer zu informieren. Hierfür drohen einer Aktivistin bis zu 10 Jahre Gefängnis. Zum Weltfrauentag am 8. März legten Aktivist*innen aus Protest Blumen in den ukrainischen Farben auf die Straßen. Seitdem werden Frauen, die sich mit Blumen im öffentlichen Raum aufhalten, allein für diese Tatsache festge­nommen.

Neben der Organisation von Protesten gibt FAR die russischsprachige Online-Zeitung „Zhenskaya Pravda“ (Wahrheit der Frauen) heraus, die mit ihrer Berichterstattung über den russischen Krieg in der Ukraine der staatlichen Propaganda entgegenwirken will. Zudem sensibilisieren die Aktivist*innen die Öffentlichkeit zu den Themen der (sexualisierten) Gewalt gegen Frauen und Kinder, kämpfen für die Menschenrechte politischer Aktivist*innen in russland und verfassen Petitionen und Briefe. Sie organisieren psychologische und emo­tionale Unterstützung für Personen, die direkt oder indirekt von der russischen Aggression in der Ukraine betroffen sind. So unterstützen sie beispielsweise in Belarus Ukrainer*innen auf der Flucht.

FAR handelt über Grenzen hinweg und versteht sich als Akteurin der globalen Zivilgesellschaft. „Zellen“ in mehreren Ländern sensibilisieren die lokale Öffent­lichkeit durch eigene Antikriegsaktionen. Anfang Januar 2023 wurde beispiels­weise von einer Aktivistin der Gruppe vor der Sonntagsschule der Russisch-Orthodoxen Kirche in Aachen ein Graffiti mit dem Text „Wer das Imperium anbetet, kreuzigt Christus“ angebracht. Für ihren Mut, ihre Zivilcourage und den unermüdlichen Einsatz gegen den Krieg erhalten die Aktivist*innen des Feministischen Antikriegswiderstands den Aachener Friedenspreis 2023. Internationale Öffentlichkeit soll die Aktivist*innen persönlich schützen und ihrem Anliegen mehr Gehör verschaffen.

Weiterführende Quellen:

Wir möchten Ihnen hier auch die gehaltenen Reden der Preisverleihung 2023 in Textform zur Verfügung stellen: Die Preisverleihung des Jahres 2023 steht als Video zur Verfügung. Bitte beachten Sie, dass sie mit Klick auf diesen Link zu youtube weitergeleitet werden.